Schutzschirmverfahren: Kündigung kann angegriffen werden

Kriselnde Arbeitgeber können vor der Insolvenz ein Schutzschirmverfahren einleiten. Dabei kommt es oft zu Kündigungen. Was bei Kündigungen im Schutzschirmverfahren zu beachten ist und aus welchen Gründen diese angreifbar sein können, erklärt dieser Beitrag.

Das Wichtigste zusammengefasst

  • Das Schutzschirmverfahren ist eine Vorstufe zum Insolvenzverfahren.
  • Arbeitnehmer genießen weiterhin hohen Kündigungsschutz. Erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens gelten (wenige) Sonderregelungen.
  • Ob eine Abfindung wirklich ausgezahlt wird, ist oft nicht sicher.
  • Im Schutzschirmverfahren kann der Lohn für bis zu drei Monate per Insolvenzgeld abgesichert werden.
  1. Was ist ein Schutzschirmverfahren?
  2. Kündigung im Schutzschirmverfahren
    a.  Welcher Kündigungsschutz gilt im Schutzschirmverfahren?
    b.  Kündigung in Schutzschirmverfahren scheitert oft an Sozialauswahl
    c.  Wie lang ist die Kündigungsfrist im Schutzschirmverfahren?
    d.  Was gilt bei Kündigungen in der anschließenden Insolvenz?
    e.  Können Arbeitnehmer im Schutzschirmverfahren selbst kündigen?
  3. Abfindung und Insolvenzgeld im Schutzschirmverfahren
    a.  Erhalten Arbeitnehmer eine Abfindung im Schutzschirmverfahren?
    b.  Besonderheiten des Sozialplans im Schutzschirmverfahren
    c.  Wird Insolvenzgeld während Schutzschirmverfahren gezahlt?

 

  1. Was ist ein Schutzschirmverfahren?

Bei dem Schutzschirmverfahren handelt es sich um ein besonderes Verfahren aus dem Insolvenzrecht, das in § 270d InsO geregelt ist. Es steht zeitlich vor dem eigentlichen Insolvenzverfahren und ist daher eine besondere Form des vorläufigen Insolvenzverfahrens.

Im Schutzschirmverfahren behält der Schuldner die Macht über das Unternehmen und muss nicht – wie sonst – alle Befugnisse auf einen vorläufigen Insolvenzverwalter übertragen; der Schuldner wird lediglich von einem sog. Sachwalter beaufsichtigt. Zweck des Schutzschirmverfahrens ist die Vorbereitung der Sanierung. In vielen Fällen mündet das Verfahren in die eigenverwaltete Insolvenz, die dann zu einem sog. Insolvenzplan führt. Darin einigen sich Schuldner und Gläubiger auf bestimmte Sanierungsmaßnahmen.

Wichtig ist, dass das Schutzschirmverfahren nur solchen Unternehmen eröffnet ist, deren Sanierung nicht „offensichtlich aussichtlos“ ist. Der Schuldner darf insbesondere nicht bereits zahlungsunfähig sein.

Der Name „Schutzschirm“ kommt daher, dass der Schuldner während des Verfahrens vor Vollstreckungen u.ä. geschützt ist.

  1. Kündigung im Schutzschirmverfahren

a. Welcher Kündigungsschutz gilt im Schutzschirmverfahren?

Im Schutzschirmverfahren gilt grundsätzlich der normale Kündigungsschutz. Das bedeutet, dass jeder Arbeitnehmer, der in einem Betrieb mit mehr als zehn Arbeitnehmern arbeitet, nach sechs Monaten recht gut vor einer Entlassung geschützt ist. Kündigungen müssen dann auf betriebsbedingte Gründe, personenbedingte Gründe oder verhaltensbedingte Gründe gestützt werden können.

Wichtig: Arbeitnehmer haben nur drei Wochen Zeit, um gegen die Kündigung zu klagen! Nach Ablauf dieser Frist ist die Entlassung automatisch wirksam, wenn keine Klage erhoben wird.

Im Schutzschirmverfahren wird es im Regelfall um betriebsbedingte Kündigungen gehen. Für diese muss der Arbeitgeber darlegen und beweisen können, dass der Arbeitsplatz aus innerbetrieblichen Gründen (z.B. wegen eines Restrukturierungskonzeptes) oder außerbetrieblichen Gründen (z.B. wegen Umsatzrückgangs) dauerhaft wegfällt und eine ordnungsgemäße Sozialauswahl durchgeführt wurde (s.u.). Zudem muss der Betriebsrat angehört worden sein; für bestimmte Gruppen von Arbeitnehmern (Schwerbehinderte; Schwangere und Eltern in Elternzeit) gilt darüber hinaus ein besonderer Kündigungsschutz.

Solche Kündigungen sind sehr fehleranfällig. Hier erfahren Sie mehr zur Kündigung aus wirtschaftlichen Gründen.

b. Kündigung in Schutzschirmverfahren scheitert oft an Sozialauswahl

Gerade die Sozialauswahl ist sehr fehleranfällig und bietet Arbeitnehmern gute Verteidigungschancen. Für die Sozialauswahl gelten im Schutzschirmverfahren keine Besonderheiten. Der Arbeitgeber muss auch hier darauf achten, dass er – grob gesagt – zuerst die „sozial Stärkeren“ entlässt. Dafür hat er alle Arbeitnehmer in ähnlichen Positionen miteinander zu vergleichen und die am wenigsten schutzwürdigsten vor den schutzwürdigeren Arbeitnehmern zu entlassen. Folgende Kriterien sind dabei zu berücksichtigen:

  • Alter
  • Betriebszugehörigkeit
  • Unterhaltsverpflichtungen
  • Schwerbehinderung

c. Wie lang ist die Kündigungsfrist im Schutzschirmverfahren?

Im Schutzschirmverfahren gilt, wie sonst auch, grundsätzlich die gesetzliche Kündigungsfrist nach § 622 BGB. Die Kündigungsfrist für Kündigungen des Arbeitgebers beträgt danach zunächst zwei Wochen während der Probezeit und steigt mit der Beschäftigungsdauer auf bis zu sieben Monate an. Im Arbeits- oder Tarifvertrag können teilweise abweichende Fristen vereinbart werden.

Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens (aber noch nicht im Schutzschirmverfahren!) gelten jedoch Besonderheiten: Nach § 113 InsO beträgt die Kündigungsfrist maximal drei Monate. Das betrifft vor allem Arbeitnehmer, die seit mindestens zehn Jahren in dem Betrieb beschäftigt sind, da für diese normalerweise eine Kündigungsfrist von vier Monaten zum Monatsende gelten würde. Kürzere Kündigungsfristen bleiben unverändert.

Falls bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens – also auch im Schutzschirmverfahren – eine Kündigung ausgesprochen wurde, für die eine Kündigungsfrist länger als drei Monate gelten würde, ist eine „Nachkündigung“ möglich. Der Insolvenzverwalter oder Arbeitgeber spricht dann eine zweite Kündigung aus, die das Arbeitsverhältnis nach drei Monaten beendet.

Beispiel: A wird im Schutzschirmverfahren am 4.4. entlassen. Seine Kündigungsfrist gem. § 622 BGB läuft am 30.9. aus. Am 22.4. wird das Insolvenzverfahren eröffnet. A wird ein Tag darauf erneut gekündigt; nun aber mit der dreimonatigen Frist gem. § 113 InsO. Sein Arbeitsverhältnis endet daher bereits am 31.7.

d. Was gilt bei Kündigungen in der anschließenden Insolvenz?

Wie erwähnt, ist das Schutzschirmverfahren nur vorläufiger Art. Häufig geht es in die Insolvenz in Eigenverwaltung oder in die Regelinsolvenz über. Diese beendet noch nicht automatisch das Arbeitsverhältnis, aber es wird im Regelfall zu betriebsbedingten Kündigungen durch den Arbeitgeber oder den Insolvenzverwalter kommen. Auch dann gilt aber fast unverändert der gewöhnliche und hohe Kündigungsschutz. Arbeitnehmer sollten eine Kündigung in der Insolvenz also nicht ungeprüft hinnehmen.

Im Insolvenzverfahren des Arbeitgebers gelten allerdings einige Erleichterungen für betriebsbedingte Kündigungen, insbesondere:

  • Das Insolvenzgericht kann auf Antrag feststellen, dass die Kündigungen grundsätzlich möglich sind (§ 126 InsO). Damit ist allerdings nicht vollends ausgeschlossen, dass Arbeitnehmer gegen die Kündigung erfolgreich vorgehen können.
  • Außerdem ist die ordentliche Kündigung auch bei einem Ausschluss ordentlicher Kündigungen im Tarifvertrag oder im befristeten Arbeitsverhältnis möglich (§ 113 S. 1 InsO).
  • Es gilt eine maximale Kündigungsfrist von drei Monaten (dazu gleich mehr).

e. Können Arbeitnehmer im Schutzschirmverfahren selbst kündigen?

Arbeitnehmer können im Schutzschirmverfahren jederzeit ordentlich kündigen. Zu beachten ist hierbei grundsätzlich nur, dass die Kündigung der Schriftform bedarf. Das Schreiben muss dem Arbeitgeber also mit persönlicher Unterschrift zugehen. Außerdem ist die Kündigungsfrist von vier Wochen zum 15. oder zum Monatsende zu beachten, die womöglich durch den Arbeits- oder Tarifvertrag verlängert ist.

Wie auch sonst bei Kündigungen durch den Arbeitnehmer stellt sich das Risiko einer Sperrzeit beim Arbeitslosengeld I (ALG I). Der Anspruch auf ALG I ruht nämlich grundsätzlich für zwölf Wochen, wenn der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis gelöst und dadurch seine Arbeitslosigkeit selbst verursacht hat.

Keine Sperrzeit droht, wenn der Arbeitnehmer einen wichtigen Grund für die Kündigung hatte.

Zwei wichtige Beispiele:

  1. Dem Arbeitnehmer wurde mit einer objektiv rechtmäßigen Kündigung durch den Arbeitgeber gedroht, wenn er nicht selbst gekündigt hätte. Ob darin ein wichtiger Grund zu sehen ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab.
  2. Der Arbeitgeber ist im Schutzschirmverfahren mit Lohnzahlungen erheblich im Verzug.

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  1. Abfindung und Insolvenzgeld im Schutzschirmverfahren

a. Erhalten Arbeitnehmer eine Abfindung im Schutzschirmverfahren?

Ein gesetzlicher Anspruch darauf besteht nicht. Dennoch zahlen Arbeitgeber in aller Regel eine Abfindung aus, wenn sie betriebsbedingt kündigen. Gründe dafür sind etwa:

  • Im Kündigungsschreiben wird eine Abfindung angeboten für den Fall, dass der Arbeitnehmer die Entlassung hinnimmt und keine Klage erhebt (§ 1a KSchG).
  • Der Arbeitnehmer klagt gegen die Kündigung und handelt vor Gericht eine Abfindung aus.
  • Ein Sozialplan sieht eine Abfindung vor (s. dazu mehr im nächsten Abschnitt).
Während des Schutzschirmverfahrens ist allerdings eine Besonderheit zu beachten: Der Arbeitgeber befindet sich in der Krise. Es ist nicht immer sicher, dass er die volle Abfindung auszahlen kann bzw. wird.

Daher ist zu beachten: Arbeitnehmer haben zwar auch im Schutzschirmverfahren Anspruch auf den vollen Betrag, der ihnen als Abfindung versprochen wurde. Das bringt sie oft aber nicht weit. Denn Forderungen gegen den Arbeitgeber können im Schutzschirmverfahren nicht vor Gericht durchgesetzt werden (deshalb „Schutzschirm“). Arbeitnehmer haben daher kein Druckmittel zur Hand. Selbst wenn sie den Betrag bereits erhalten haben, ist dieser unter Umständen aufgrund einer Insolvenzanfechtung zurückzuzahlen.

Arbeitnehmer können dann nur darauf hoffen, dass ihnen der Insolvenzplan eine akzeptable Quote der Abfindung zuspricht. Andernfalls erhalten sie meist weniger als 10% des Betrags.

Nur in Ausnahmefällen ist eine Abfindung im Schutzschirmverfahren vor einer Insolvenz sicher. Arbeitnehmer sollten sich daher in jedem Fall von einem erfahrenen Fachanwalt für Arbeitsrecht beraten lassen, wenn ihnen eine Abfindung in der Krise des Unternehmens angeboten wird.

b. Besonderheiten des Sozialplans im Schutzschirmverfahren

Besonders oft sichert ein Sozialplan Abfindungen zu. Ein Sozialplan ist eine Vereinbarung zwischen dem Arbeitgeber und dem Betriebsrat, die den Verlust des Arbeitsplatzes abmildern sollen.

Verhandlungen über einen Sozialplan setzen voraus, dass sich der Arbeitgeber zu einer Betriebsänderung entschlossen hat. Dies erfasst insbesondere den Fall, in dem der Arbeitgeber seinen Betrieb ganz oder teilweise stilllegen will, indem er einen gewissen Teil der Belegschaft entlässt (vgl. § 112a BetrVG). Dazu kommt es jedoch in der Regel erst in der Insolvenz und nicht bereits im Schutzschirmverfahren. Sozialpläne, die während des Schutzschirmverfahrens vereinbart wurden, können teilweise sogar widerrufen werden.

Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens (nicht aber während des Schutzschirmverfahrens) unterliegen Abfindungen aus Sozialplänen gewissen Einschränkungen.

  • Nach § 123 InsO darf ein Sozialplan für Ansprüche der Arbeitnehmer nicht mehr als ein Drittel der Masse verwenden, die den Insolvenzgläubigern ohne den Sozialplan zur Verfügung stünde.
  • Außerdem dürfen die einzelnen Abfindungen höchstens 2 ½ Monatsverdienste der zu entlassenden Arbeitnehmer betragen.

Daher kann es für Arbeitnehmer vorteilhaft sein, sich bereits vor der Insolvenzeröffnung vom Arbeitgeber zu trennen. Dieser Schritt sollte auch wegen der zuvor genannten Risiken mit einem Fachanwalt für Arbeitsrecht besprochen werden. Unter Umständen kann es auch sinnvoll sein, Klage zu erheben und so eine höhere Abfindung als im Sozialplan zu erzielen.

c. Wird Insolvenzgeld während Schutzschirmverfahren gezahlt?

 Abfindungen sind das Eine, reguläres Gehalt das Andere. In der Krise können Arbeitgeber oft ihre Mitarbeiter nicht mehr bezahlen. Um Arbeitnehmer zu schützen, zahlt die Bundesagentur für Arbeit daher Insolvenzgeld. Damit soll der Lohn ersetzt werden, der in den letzten drei Monaten vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu zahlen gewesen wäre. Der Zeitraum fällt also in vielen Fällen in das Schutzschirmverfahren.

Meist legen Arbeitgeber Verträge vor, mit denen Arbeitnehmer ihre Lohnforderung an eine Bank abtreten sollen. Diese finanziert im Gegenzug das Insolvenzgeld vor. Arbeitnehmer sollten den Vertrag einem Fachanwalt für Arbeitsrecht vorlegen, bevor sie unterschreiben!

Sind die Arbeitnehmer in Kurzarbeit, kommen weitere Schwierigkeiten hinzu. Bei „Kurzarbeit Null“ z.B. besteht grundsätzlich kein Anspruch auf Insolvenzgeld.

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