Betriebsübergang: Kündigung erst nach einem Jahr?

Wird das Unternehmen verkauft, stehen oft Arbeitsplätze auf dem Spiel. Viele Arbeitnehmer glauben allerdings, dass sie nach einem Betriebsübergang ein Jahr lang vor Kündigungen geschützt sind. Doch trifft das zu? Wir erklären die Rechtslage nach einem Betriebsübergang.

Das Wichtigste zusammengefasst

  • Im Falle eines Betriebsübergangs gehen die Arbeitsverträge auf den neuen Inhaber des Betriebs über.
  • Es stimmt nicht, dass Kündigungen erst ein Jahr nach dem Betriebsübergang möglich sind; eine zeitliche Sperre für eine Kündigung gibt es nicht.
  • Kündigungen „wegen“ des Betriebsübergangs sind unwirksam, d.h. dieser darf nicht „tragender Grund“ für die Kündigung sein.
  • Der (neue oder alte) Arbeitgeber darf allerdings aus anderen Gründen kündigen.
  • Eine Abfindung sollten Sie individuell aushandeln. Nach einem Betriebsübergang stehen die Chancen oft gut.
  1. Bin ich nach einem Betriebsübergang ein Jahr lang vor Kündigungen geschützt?
  2. Diese Kündigungen sind nach einem Betriebsübergang ausgeschlossen
  3. Diese Kündigungen sind auch nach einem Betriebsübergang möglich
  4. Erhalte ich eine Abfindung nach einer Kündigung wegen Betriebsübergang?

1. Bin ich nach einem Betriebsübergang ein Jahr lang vor Kündigungen geschützt?

Nein, eine solche zeitliche Sperre gibt es nicht. Selbst im ersten Jahr nach dem Betriebsübergang kann der Erwerber den Arbeitsvertrag kündigen. Selbstverständlich müssen die allgemeinen (hohen) Voraussetzungen für eine solche Kündigung vorliegen. Lediglich eine Kündigung durch den alten Arbeitgeber oder den Erwerber „wegen“ eines Betriebsübergangs ist unwirksam (s.u.).

Der weit verbreitete Irrtum, ein Jahr lang geschützt zu sein, kommt aber nicht von ungefähr. Die einschlägige Vorschrift aus § 613a BGB nennt in der Tat eine Jahresfrist. Dabei geht es allerdings nicht um den Kündigungsschutz. Es handelt sich vielmehr um eine sog. Veränderungssperre, die ausschließlich Kollektivvereinbarungen betrifft. Zur Erklärung: Bei einem Betriebsübergang geht der Arbeitsvertrag „so wie er ist“ auf den Erwerber über (§ 613a Abs. 1 Satz 1 BGB). In der Praxis ist Vieles aber nicht im Arbeitsvertrag geregelt. So gibt es daneben oft kollektive Vereinbarungen, die das Verhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber betreffen.

Beispiel 1: In einer Betriebsvereinbarung mit dem Betriebsrat verpflichtet sich der Arbeitgeber, gesundes Essen zu günstigen Preisen in der Kantine anzubieten (§ 87 Abs. 1 Nr. 8 BetrVG). Im Betrieb des Erwerbers gibt es aber keinen Betriebsrat.

Beispiel 2: Eine Tarifvereinbarung zwischen Arbeitgeberverband und Gewerkschaft regelt die Höhe des Entgelts und die Länge der Arbeitszeit für eine bestimmte Branche (§ 1 TVG). Das Unternehmen des Erwerbers unterliegt aber nicht dieser Tarifbindung.

Was passiert nun mit diesen kollektiven Vereinbarungen? Zum Schutz der Arbeitnehmer werden die Rechte und Pflichten aus diesen Vereinbarungen Teil des Arbeitsvertrags und gehen auf den Erwerber über. Nur für diese Vereinbarungen gilt die einjährige Veränderungssperre, d.h. sie dürfen nicht zulasten des Arbeitnehmers geändert werden (§ 613a Abs. 1 Satz 2 und 3 BGB).

2. Diese Kündigungen sind nach einem Betriebsübergang ausgeschlossen

Sobald die Arbeitnehmer durch den bisherigen Arbeitgeber oder den Erwerber über den Betriebsübergang informiert werden, beginnt für viele die Zeit der Sorge: Was passiert nun mit meinem Arbeitsvertrag? Kann mir wirksam gekündigt werden? Ganz unberechtigt ist diese Sorge nicht. Denn häufig geht ein Betriebsübergang mit Maßnahmen zur Rationalisierung einher.

Diese Sorge greift das Gesetz auf: Die Kündigung des Arbeitsvertrags durch den bisherigen Arbeitgeber oder den Erwerber „wegen“ des Betriebsübergangs ist unwirksam (§ 613a Abs. 4 Satz 1 BGB). Dieses Kündigungsverbot beruht auf den Vorgaben der europäischen Betriebsübergangs-Richtlinie und soll verhindern, dass der Bestandsschutz durch eine Kündigung unterlaufen wird.

Das Kündigungsverbot schützt vor allen Arten von Kündigungen, sowohl ordentlich als auch außerordentlich. Neben klassischen Beendigungskündigungen sind auch Änderungskündigungen sowie Aufhebungsverträge erfasst. Selbst wenn Sie weniger als sechs Monate im Betrieb gearbeitet haben oder in einem Kleinbetrieb mit zehn oder weniger Arbeitnehmern arbeiten, sind Sie geschützt.

Aber Achtung: Nicht jede Kündigung, die vor oder nach einem Betriebsübergang durch den alten Arbeitgeber oder den Erwerber erfolgt, ist unwirksam. Das Kündigungsverbot greift nur dann, wenn die Kündigung „wegen“ des Betriebsübergangs erfolgt. Das Recht zur Kündigung des Arbeitsvertrags aus anderen Gründen bleibt weiterhin unberührt (§ 613a Abs. 4 Satz 2 BGB).

Doch wie erkenne ich, dass die Kündigung „wegen“ des Betriebsübergangs erfolgt? Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) erfolgt eine Kündigung „wegen“ des Betriebsübergangs, wenn dieser nicht nur äußerer Anlass, sondern tragender Grund für die Kündigung war (siehe BAG, Urteil vom 18.07.1996 – 8 AZR 127/94).

Beispiel (nach BAG, Urteil vom 19.05.1988 – 2 AZR 596/87): Arbeitnehmer A ist in einem Bücherverlag angestellt. Da der Verlag jahrelang Verluste erwirtschaftet und stark überschuldet ist, verkauft der Arbeitgeber den gesamten Betrieb an einen Erwerber. Kurz vor dem Betriebsübergang kündigt der Bücherverlag den Arbeitsvertrag mit A.

Ob die Kündigung „wegen“ des Betriebsübergangs erfolgt, ist durch eine umfassende Betrachtung aller Umstände des Einzelfalls zu ermitteln. In diesem Fall wurde dem Arbeitgeber ein Protokoll zum Verhängnis, in dem über den Stand der Verkaufsverhandlungen mit dem Erwerber informiert wurde. Dort stand: „Bedingungen für Übernahme insbesondere: Entlassung des Personals.“ A hatte vor Gericht also „leichtes Spiel“ zu beweisen, dass der Betriebsübergang tragender Grund für die Kündigung war.

Merken Sie sich: Nur Kündigungen, die „wegen“ eines Betriebsübergangs erfolgen, sind unwirksam. Hierzu muss der Betriebsübergang der „tragende Grund“ für die Kündigung gewesen sein, nicht bloß äußerer Anlass. Dies zu ermitteln, ist im Einzelfall nicht ganz einfach. Wenn Sie von einer Kündigung vor oder nach einem Betriebsübergang betroffen sind, sollten Sie sich daher von einem Fachanwalt für Arbeitsrecht beraten lassen, um die Erfolgsaussichten einer Klage beurteilen zu können.

Übrigens gilt dieser Kündigungsschutz nicht nur ein Jahr lang. Kündigt Ihnen Ihr Arbeitgeber „wegen“ des Betriebsübergangs, ist diese Entlassung rechtswidrig – egal, ob sie vor dem Betriebsübergang oder zwei Jahre danach ausgesprochen wird.

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Dann gehört Ihr Fall in die Hände eines Fachanwalts für Arbeitsrecht. Ich unterstütze Sie mit meiner langjährigen Erfahrung. Treten Sie mit mir in Kontakt, um die drängendsten Fragen gleich zu klären.

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3. Diese Kündigungen sind auch nach einem Betriebsübergang möglich

Das Recht zur Kündigung des Arbeitsvertrags aus anderen Gründen als „wegen“ des Betriebsübergangs bleibt unberührt (§ 613a Abs. 4 Satz 2 BGB). Beachten Sie also: Der bisherige Arbeitgeber oder Erwerber kann das Arbeitsverhältnis trotz des Betriebsübergangs kündigen. Natürlich müssen aber die allgemeinen Voraussetzungen für eine solche Kündigung vorliegen.

Falls Sie in einem Betrieb mit mehr als zehn Arbeitnehmern und länger als sechs Monate beschäftigt sind, richtet sich die Wirksamkeit einer Kündigung nach dem Kündigungsschutzgesetz (KSchG). Eine Kündigung muss demnach aus personenbedingten, aus verhaltensbedingten oder aus betriebsbedingten Gründen „sozial gerechtfertigt“ sein (§ 1 KSchG).

Beispiel 1: Arbeitnehmer A ist langzeiterkrankt. Sein bisheriger Arbeitgeber hat von einer Kündigung bisher abgesehen. Der neue Arbeitgeber hingegen spricht A die personenbedingte Kündigung aus, weil er für die Stelle des A Planungssicherheit haben möchte. Der Betriebsübergang mach diese Kündigung nicht unwirksam.

Beispiel 2: Arbeitnehmer B arbeitet im Innendienst einer Versicherung, deren Betrieb auf einen Erwerber übertragen wurde. B trinkt häufig während der Arbeitszeit und verhält sich trotz mehrfacher Abmahnung aggressiv. Kündigt der Erwerber das Arbeitsverhältnis, kann diese Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen gerechtfertigt sein.

Beispiel 3: Arbeitnehmer C arbeitet in einer Stahlfabrik, die in wirtschaftliche Schieflage geraten ist. Der Erwerber des Betriebs möchte den Betrieb wieder „auf Vordermann bringen“ und beschließt daher Maßnahmen zur Rationalisierung. In diesem Fall kommt eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus betriebsbedingten Gründen in Betracht.

Das letzte Beispiel mag verwundern. Warum durfte dem Arbeiter in der Stahlfabrik wirksam gekündigt werden, während die Kündigung des Angestellten im Bücherverlag unwirksam war? In beiden Fällen geht es um einen wirtschaftlich angeschlagenen Betrieb, der durch Umstrukturierungen und Kündigungen wieder „schwarze Zahlen“ schreiben soll.

Und tatsächlich ist die Abgrenzung nicht ganz einfach. Bei dem Angestellten im Bücherverlag war der Betriebsübergang der „maßgebliche Grund“ für die Kündigung. Die Kündigung des Arbeiters in der Stahlfabrik erfolgte zwar im Zusammenhang mit dem Betriebsübergang; doch ist der Erwerber nicht gehindert, in diesem – bloß zeitlichem – Zusammenhang Rationalisierungen zur Verbesserung des Betriebs durchzuführen und zu diesem Zweck betriebsbedingte Kündigungen auszusprechen. Gerade im Zusammenhang mit Outsourcing kommt es oft zur Kündigung nach einem Betriebsübergang

Hier zeigt sich also erneut: Die Kündigung nach einem Betriebsübergang ist rechtlich schwer zu bewerten. Herr Rechtsanwalt Wolfgang Michael Müller hat zu zahlreichen Fällen dieser Art bereits beraten und unterstützt Sie im Falle einer Kündigung kompetent.

4. Erhalte ich eine Abfindung nach einer Kündigung wegen Betriebsübergang?

Viele Arbeitnehmer denken: Wenn mir der bisherige Arbeitgeber oder der Erwerber wegen eines Betriebsübergangs kündigt, habe ich doch zumindest einen Anspruch auf Abfindung.

Aber Achtung – dies ist ein häufiger Irrtum. Nach einer Kündigung steht Ihnen nicht automatisch eine Abfindung zu. Das gilt auch, wenn Sie im ersten Jahr nach einem Betriebsübergang entlassen werden. Sie sollten in aller Regel auf den Arbeitgeber zugehen, um individuell eine Abfindung auszuhandeln. Oft bieten Arbeitgeber die Abfindung auch von sich aus an:

  • Möchte der Erwerber den Betrieb rationalisieren, d.h. betriebsbedingte Kündigungen aussprechen, wird er häufig Abfindungen anbieten, um Ihnen den Abgang „schmackhaft“ zu machen und Rechtsstreitigkeiten zu verhindern. Die Zahlung setzt daher regelmäßig voraus, dass Sie auf eine Klage verzichten und die Entlassung somit hinnehmen.
  • Eine Abfindung kann sich auch aus einem Sozialplan des Arbeitgebers mit dem Betriebsrat ergeben, der die Nachteile für Arbeitnehmer bei geplanten Betriebsänderungen abmildern soll. Dennoch lohnt es sich ggf., trotz eines Sozialplans Klage zu erheben und so eine höhere Abfindung auszuhandeln.
  • Auch kann sich der Arbeitnehmer im Rahmen eines Kündigungsschutzprozesses vor Gericht auf eine bestimmte Abfindungssumme mit dem Arbeitgeber einigen („vergleichen“).

Die Höhe der Abfindung hängt von Ihrem Verhandlungsgeschick ab. Es kommt insbesondere darauf an, dem Arbeitgeber die Schwächen seiner Kündigung vor Augen zu führen. Je eher Sie vor Gericht gewinnen würden, desto höhere Beträge ist er zu zahlen bereit. Eine grobe Orientierung bietet diese Formel:

0,5 Bruttomonatsgehälter x Anzahl der Beschäftigungsjahre im Betrieb

Die Abfindung kann (bzw. sollte) bei guter Ausgangslage allerdings deutlich darüber liegen.

Lassen Sie sich in jedem Fall durch einen Fachanwalt für Arbeitsrecht beraten, um eine optimale Abfindung zu erreichen.

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Dann gehört Ihr Fall in die Hände eines Fachanwalts für Arbeitsrecht. Ich unterstütze Sie mit meiner langjährigen Erfahrung. Treten Sie mit mir in Kontakt, um die drängendsten Fragen gleich zu klären.

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